Wenn Witze an Humor verlieren

Als ich angefangen habe in der Firma zu arbeiten, war ich von der Arbeitsatmosphäre begeistert. Ich wurde beim Vorstellungsgespräch direkt geduzt, ohne gefragt zu werden. Ein Statement, dass ich direkt sehr begrüßt habe. Es wurden viele Witze gerissen, dumme Sprüche fallen gelassen, sich über alles lustig gemacht und ich habe mich direkt wohl gefühlt.

Heute blicke ich mit Unverständnis auf mein Vergangenheits-ich zurück, dass noch über so viele schlechte Sprüche gelacht hat, ohne die damit zusammenhängenden Implikationen zu verstehen.

Und? Sieht man schon was?

Bei dir sieht man immer so schnell was.

Web-Entwicklung ist bei weitem nicht das Hauptgeschäft unserer kleinen Firma. Die meisten Entwickler haben dort angefangen, weil sie eben weit entfernt von diesem Web-Scheiß bleiben wollten. Seitdem ich in der Firma Web-Entwicklung mache, kommt mein Chef des Öfteren mal bei mir vorbei, immer mit der Einstiegsfrage: "Und, sieht man schon was?" Immer mit der darauf folgenden Erklärung: "Bei dir sieht man immer so schnell was".

Beim ersten Mal fand ich das noch ganz nett, als wäre es ein Zeichen dafür, dass jemand wahrnehmen würde, dass ich auch tatsächlich was leiste und vorankommen. Inzwischen habe ich eine andere Sicht auf diese repetitive Nachfrage. Zum einen kommt er nur dann vorbei, wenn er gerade nichts Besseres zu tun hat. Und dann nie mit einer spezifischen Vorstellung davon, was er denn gerne sehen möchte. Am Ende ist es hauptsächlich nur Wichtigtuerei und die Hoffnung, dass ihn jemand lustig findet, weil er immer wieder den selben Spruch bringt. Repetitiv ist nicht witzig.

Inzwischen sehe ich es eher als Abgrenzung zu den "richtigen" Entwicklern, bei denen er aber höchstens Code oder Kommandozeile sehen kann, wenn er jemandem spontan über die Schulter blickt. Dabei ist es mir langsam ein bisschen egal, ob diese Abgrenzung positiv oder negativ gemeint ist. Sie muss in beiden Fällen nicht sein.

Stattdessen bewirkt dieser Zwischenschub bei mir, dass ich aus meinem Gedankengang raus gerissen werde. Nicht nur, dass ich auf diese Frage ja etwas erwidern muss. Meistens führt es eher dazu, dass er sich dann anguckt wie das Produkt gerade so aussieht, und Vorschläge bringt für Verbesserungen und Features, die mit dem aktuellen Sprint nichts zu tun haben, anstatt diese einfach direkt ins Backlog zu schreiben. Außerdem setzt es mich jedes Mal unter Druck auch wirklich etwas vorzeigen können zu müssen, und das ist nun mal mitten drin nicht immer möglich. Wie oft kommt es vor, dass zwischen drin mal gar nichts funktioniert.

Was? Du hast Urlaub? Wer hat dir denn das genehmigt?

Ich hielt die Arbeitsphilosophie immer für sehr entspannt. Das erste mal, dass mein Kollege neben mir Urlaub beantragte seit dem ich in der Firma war kamen von mehreren Seiten vorher der Spruch "Was? Du hast Urlaub? Wer hat dir denn das genehmigt?". Dann lachen alle und vielleicht wünscht ihm jemand noch viel Spaß. Einmal fand ich das witzig. Ein zweites Mal vielleicht auch noch. Aber wenn es unerlässlich jedes Mal kommt, wenn einer mal einen Tag nicht arbeitet, dann frage ich mich schon, ob hinter dem Witz nicht vielleicht doch mehr als nur ein Fünkchen Ernsthaftigkeit steckt. Was will man damit bezwecken? Dass die Mitarbeiter ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie mal in Urlaub fahren? Das halte ich für alles andere als witzig.

Schon wieder frei ... Student müsste man sein.

Selbst als Werkstudent merke ich inzwischen, dass obwohl ich ganz offiziell nicht jeden Tag arbeite, ich das Gefühl habe, ich müsste mich dafür rechtfertigen, nicht mehr zu arbeiten. "Student muss man sein", heißt es jedes Mal, wenn ich sage, ich bin morgen nicht da. Und was mache ich? Ich rechtfertige mich mit "ich habe Vorlesungen", oder "ich muss meine Seminararbeit schreiben" oder "ich muss lernen". Und jedes Mal frage ich mich dann später, warum, um alles in der Welt, ich mich dafür rechtfertigen sollte, nicht zur Arbeit zu gehen, wenn ich doch eh schon Überstunden habe.

Du fährst nach Frankreich? Um dort an deiner Masterarbeit zu arbeiten, oder?

Seitdem ich zusätzlich auch meine Masterarbeit in der Firma schreibe, fällt mir dieses Phänomen noch akuter auf. Nun wird von mir (natürlich nur als Scherz) immer wieder erwartet, dass ich nun 24/7 für die Firma arbeite, da ich die Uni ja nicht mehr als Ausrede habe. Wenn ich dann mal einen Tag nicht zur Arbeit komme, weil ich vielleicht doch noch ein Leben außerhalb der Firma habe, wird das direkt kommentiert mit einem witzig gemeinten "ja ok, aber du machst dort deine Masterarbeit, oder?"

Ich finde das einfach nicht mehr lustig. Aber vielleicht habe ich auch einfach keinen Humor.